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Die erlebte Wirklichkeit der Malerin Frida Kahlo

Uwe Blass spricht mit dem Kunsthistoriker Peter Lodermeyer  über die bekannteste Malerin Lateinamerikas

ZUM BEITRAG

„Anfang der 1940er Jahre notierte die Malerin die Bedeutung ihrer Farben in ihrem Tagebuch. Muss man die Bedeutung ihrer Farben erst kennen, um ihre Bilder zu verstehen?

Peter Lodermeyer: Nein, das muss man nicht. Die Sätze, die Frida Kahlo über die Bedeutung der Farben notierte, bilden alles andere als eine systematisch ausgearbeitete, konsistente Farbtheorie, die ihren Gemälden zugrunde läge. Es sind vielmehr assoziative und zum Teil widersprüchliche Aussagen. Zum Beispiel schrieb sie über die Farbe Gelb: „Irrsinn, Krankheit, Angst. Teil der Sonne und der Freude“. Bei jeder gelben Blume oder Frucht in Frida Kahlos Werk nun zu überlegen, ob sie vielleicht Wahnsinn, Angst oder doch Freude signalisiert, wäre reichlich verfehlt. Mit der Farbe Blattgrün (´Hoja Verde`) assoziierte sie: „Blätter, Traurigkeit, Wissenschaft. Ganz Deutschland hat diese Farbe“. Traurigkeit, Wissenschaft, Deutschland ­– diese Trias ist mindestens so interpretationsbedürftig wie ihre Bilder selbst, was auch zu der Frage führen würde, welches Bild von Deutschland die Künstlerin denn hatte – nicht zu vergessen, dass ihr Vater Wilhelm Kahlo ein Deutscher war, ein Fotograf aus Pforzheim. Also, die Farbbedeutungen, die Kahlo in ihrem Tagebuch notierte, bieten keinen Generalschlüssel für das Verständnis ihrer Gemälde. Dennoch ist es gut, sie zu kennen, weil man dann noch einmal genauer hinschaut und für sich selbst überlegen kann, ob Bild und Text in Übereinstimmung zu bringen sind oder eben nicht.“

(Textauszug)